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BOS-Digitalfunk in der Kritik
Im März 2013 kritisierte der Oberste Bayerische Rechnungshof in seinem
Jahresbericht einen "finanziellen Blindflug" bei der Digitalfunk-Einführung für
Polizei, Feuerwehren und Rettungsdienste (BOS, Behörden und Organisationen mit
Sicherheitsaufgaben): Seit Oktober 2007 haben sich die zu erwartenden Kosten
des Tetra-Systems von 650 Mio. Euro auf 1,1 Mrd. Euro nahezu verdoppelt -
Baukosten für Basisstationen noch gar nicht eingerechnet. Nach wie vor sei
ungeklärt, ob, wann und mit welchem finanziellen Aufwand eine flächendeckende
Nutzung in Bayern erreicht werden kann. In Petershausen soll noch in diesem
Jahr ein Pilotprojekt für die Feuerwehr starten.
Tetra
(Terrestrial trunked radio) wurde vor 20 Jahren entwickelt
- für heutige Begriffe eine lange Zeit. Das primäre Ziel gegenüber dem bisher
benutzten FM-Analogfunk war die Abhörsicherheit. Dafür war man auch bereit,
eine Reihe von gravierenden Nachteilen in Kauf zu nehmen. So beträgt etwa die
Sprachverzögerung zwischen Sender und Empfänger fast eine Sekunde. Das
bedeutet, dass man die Antwort des Gegenübers erst nach knapp zwei Sekunden zu
hören bekommt - etwa zehnmal später als beim FM-Funk. Das ist durchaus
gewöhnungsbedürftig und einem raschen Austausch kritischer Informationen kaum
förderlich.
Problematisch ist auch, dass die Reichweite nicht nur wegen der digitalen Übertragung, sondern auch wegen der höheren Tetra-Frequenz von 390 MHz (bisher 80 MHz und 170 MHz) deutlich geringer ist. Dass dafür wesentlich mehr Basisstationen erforderlich sein würden als bisher, war allen Beteiligten schon anhand von Rechner-Simulationen mit Geländemodellen längst klar. Allerdings zeigte sich schon bei den ersten Pilotversuchen schnell, dass selbst diese Modelle zu optimistisch waren und den tatsächlichen Bedarf an Sendern unterschätzten.
Das Ausrichten der Antenne an der Reichweitengrenze etwa bei einem Handfunkgerät ist schwieriger als beim FM-Analogfunk, da die Auswirkung der Änderung wegen der Sprachverzögerung nicht sofort hörbar ist. Bei geringer Feldstärke rauscht es im FM-Analogfunk etwas; beim Digitalfunk klingt die Sprache plötzlich metallisch, wird unverständlich und reißt dann ganz ab.
Ein eigenes Netz wollten die Verantwortlichen unbedingt haben: Die Mitbenutzung des Mobiltelefonnetzes verwarf man schnell, da dieses etwa während der Schulpausen oder bei Autobahn-Staus regelmäßig an der Belastungsgrenze arbeitet. Zudem haben viele GSM-/UMTS-Basisstationen heute aus Kostengründen keine Notstromversorgung mehr. Allerdings ist bei Tetra die Überbrückungszeit bei einem Stromausfall deutlich geringer als beim bisherigen FM-Funk, da die Digitalfunk-Basisstationen immer senden, nicht nur während der Gespräche. Zwar sind bei Tetra SMS-Nachrichten ähnlich wie bei GSM möglich, allerdings ist die Datenübertragungsrate etwa für Fotos oder Dokumente nicht mehr zeitgemäß - mit wenigen kbit/s ist sie tausendmal kleiner als bei heutigen Mobiltelefonen und damit für die Praxis kaum geeignet.
Man wird abwarten müssen, wie sich die Akzeptanz des Digitalfunks bei den Anwendern entwickelt. Jedenfalls wird für das neue Netz ein sehr hoher Preis bezahlt, dessen genaue Höhe heute noch keiner kennt. Und: Gut möglich, dass in einigen Fällen dann doch auf das Mobiltelefon ausgewichen wird.
Von Herwig Feichtinger, 01.04.13
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