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Verantwortung für die Welt
Petershausen darf sich nach zwei Jahren weiterhin "Fairtrade-Gemeinde" nennen.
Dies bedeutet, dass sich Menschen hier in besonderer Weise für den Fairen
Handel einsetzen, dass faire Produkte an möglichst vielen Stellen im Ort
präsent sind und mit guten Ideen, Bildungs- und Öffentlichkeitarbeit weiter
verbreitet werden. Der Verein Transfair e.V. überprüft dieses Engagement anhand
bestimmter Kriterien, die erfüllt sein müssen. Nach
positiver Prüfung erhielt die Gemeinde Ende September zum zweiten Mal den Titel
"Fairtrade-Gemeinde" und eine Urkunde darüber.
Petershausen
ist damit Teil einer internationalen Bewegung, die 2001 in England begann und
sich mittlerweile in 26 Ländern und in rund 2000 Kommunen weltweit etabliert
hat. In Deutschland gibt es aktuell 507 Fairtrade-Kommunen. Petershausen ist
eine von ihnen und die einzige im Landkreis Dachau.
Wo aber liegt die Verantwortung Petershausens für die Welt? Ist das nicht zu hochgegriffen, etwas reichlich theatralisch? Nein, hier - ganz untheatralisch - einige Überlegungen zur Rolle von Kommunen in der Einen Welt.
Die Bedeutung der Kommunen ist in internationalen Dokumenten festgehalten
Schon seit der Agenda 21 (die dafür ein eigenes Kapitel hatte) und
neuerdings mit der Agenda 2030 sind Kommunen aufgefordert, sich an der Lösung
globaler Probleme wie Armutsbekämpfung oder Klimawandel zu beteiligen. Obwohl
dies keine kommunalen Pflichtaufgaben sind, arbeiten wir in Petershausen seit
1998 bewusst daran, z.B. mit der Gründung der Kommunalen Agenda-21-Gruppe im
Jahr 1998, der Erarbeitung eines Klimaschutz-Leitbildes, der Gründung einer
Bürgerenergie-Genossenschaft, eines Energieforums oder eben mit dem Titel
"Fairtrade-Gemeinde Petershausen".
Fairtrade-Gemeinde als modernes Profil einer Kommune
Gemeinden können sich mit vielem profilieren, mit Konzertsälen,
renaturierten Flüssen oder großen Gewerbegebieten. Eine Gemeinde, die sich für
fairen Handel einsetzt, zeigt, dass Verantwortung nicht an der Gemeindegrenze
endet. Sie setzt sich bewusst dafür ein, dass Mindeststandards auch für die
Herstellung von Waren gelten sollten, die aus dem globalen Süden kommen. Die
entsprechende Auszeichnung kann sie nach außen selbstbewußt als Teil des des
Stadtmarketings nutzen. In Petershausen sieht man dies wohl demnächst an den
Ortseingängen.
Kommunen als öffentliche Auftraggeber beschaffen Waren aus aller Welt
Deutsche Kommunen haben ein enormes wirtschaftliches Potential. Hier werden
rund die Hälfte der ca 350 Milliarden Euro verantwortet, die bundesweit für die
öffentliche Beschaffung ausgegeben werden. Grundsätzlich haben sie bei der
Auftragsvergabe die Wahl zwischen Produkten mit sozialen und ökologischen
Mindeststandards und "normalen" Produkten. Oder - wie es ein
Europa-Abgeordneter formulierte - die Wahl zwischen fair und egal. Die Stadt
München wurde z.B. dafür ausgezeichnet, dass sie für alle Münchner Schulen
grundsätzlich nur faire Bälle einkauft. Die Gemeinde Petershausen verschenkt
z.B. Körbe mit fairen Produkten an Jubilare.
In Kommunen kaufen Bürger ein, gehen in Cafes und Restaurants
Auch
hier gilt wieder der Spruch des oben zitierten Europa-Abgeordneten. Geschäfte
und Gastronomie können Produkte mit dem Fairtrade-Siegel ins Sortiment nehmen.
Je mehr Geschäfte und gastronomische Betriebe mitmachen, desto besser ist die
Erreichbarkeit fairer Produkte für die Bürger. Interessant in Petershausen:
Faire Produkte gibt es auch da, wo man sie vielleicht nicht vermutet, z.B. im
Landmarkt Braumiller (Petershausener Kaffee) oder in der Eisdiele. Beide
verkaufen einzelne faire Produkte, sozusagen als Außenstelle des
Fairkaufladens.
Unterschiedlichste Gruppen einer Kommune können sich für Fairen Handel
einsetzen
Jenseits von Gemeinde und Wirtschaft können gerade auch Vereine, Kirchen oder
Schulen als Multiplikatoren wirken. Hier kennt man sich, redet miteinander und
kann nach innen und außen Überzeugungsarbeit leisten. Ganz einfache
Möglichkeiten sind z.B. der Ausschank von fairem Kaffee und anderen Getränken
bei Festen (Kirchen), Vorträge (Gartenbauverein) oder Unterrichtseinheiten
(Schule) zum Fairen Handel oder das Verschenken von fairen Produkten (z.B. in
Form von Geschenkkörben an Referenten). Ein ganz aktuelles Beispiel für
Petershausen: Auch in diesem Jahr haben sich - ganz selbstverständlich - bisher
(fast) alle Kindergärten in Petershausen für das Verschenken fairer Nikoläuse
entschieden.
In Kommunen können Bürger mitgestalten
Im Gegensatz zur Bundespolitik, Landespolitik oder auch der Politik auf
Kreisebene sind die Abläufe in einer Kommune (relativ) überschaubar. Hier
können sich Bürger in vielen Bereichen mit gleich Gesinnten zusammentun,
mitwirken und etwas bewirken. Und das erleben, was die Psychologie mit dem
schönen Begriff "Selbstwirksamkeit" umschreibt. Viele Kommunen geben sich
mittlerweile Leitbilder, an deren Ausgestaltung und Umsetzung Bürger mitmachen
können und sollen. Der Titel Fairtrade-Gemeinde ist Teil einens Leitbildes, an
dessen Erreichung Gemeinde, Wirtschaft und zivilgesellschaftliche Gruppen
gemeinsam arbeiten können.
Fairtrade-Kommunen zeigen beispielhaft: Ein anderer Handel ist möglich!
Eine-Welt-Läden und Fairtrade-Kommunen arbeiten mit viel ehrenamtlichem
Engagement an einer Wahrheit, die wir allesamt in unserer hippen Konsumwelt
zwar ahnen, aber lieber nicht so ganz genau wissen möchten: Hinter all den
schönen Waren stecken leibhaftige Menschen. Vor unseren Augen verborgen, meist
am Ende einer anonymen Lieferkette, als "Kostenfaktor", den es in einer auf
Wettbewerb und Wachstum basierenden Wirtschaft möglichst gering zu halten gilt.
Die unvermeidlichen "Kollateralschäden" kommen meist nicht an die
Öffentlichkeit, nur wenn ihr Ausmaß so groß sind, dass man sie nicht mehr
geheim halten kann (Rana Plaza).
Fairer Handel findet in einem sehr komplizierten Umfeld statt und ist in einigen Bereichen ziemlich verbesserungswürdig. Aber jedes gesiegelte Produkt, das über die Ladentheke geht, zeugt von einer "zivilisierten" Sichtweise: Dass nämlich Menschen, egal wo sie leben, mehr sein müssen als "Kostenfaktoren".
Fairer Handel und Fairtrade-Gemeinden sind kleine Rädchen der globalen
Wirtschaft
Das ganz
große Rad müsste woanders gedreht werden. Wo, dies hat Gerd Müller,
Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, in seinem
Buch "UN Fair" ziemlich deutlich zum Ausdruck gebracht: In einer weltweit
regulierten Wirtschaft, in der die (europäische) Politik öko-soziale
Rahmenbedingungen vorgibt, innerhalb denen Wettbewerb stattfinden kann. So
könnten aus sogenanten Freihandels-Abkommen Fairhandels-Abkommen werden.
Denn "eine Globalisierung ohne Regeln und Grenzen führt zurück in den Manchester-Kapitalismus des 19. Jahrhunderts oder zu Verhältnissen wie in Indien, Bangladesch oder Afrika. Folgen der heutigen internationalen Rechtsordnung sind z.B. weit verbreitete Kinderarbeit und eine fortschreitende Ausbeutung der Natur". Bis diese Rahmenbedingungen allerdings geschaffen sind, so Müller, seien gesiegelte Produkte, an denen sich Verbraucher orientieren können, ein wichtiger Zwischenschritt hin zu einer gerechten Globalisierung.
Deshalb sollten wir weiter beharrlich daran arbeiten, dass Petershausen auch in zwei Jahren wieder Fairtrade-Gemeinde wird!
Von Christa Trzcinski, 16.10.17
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