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Ein Vogelschiss?
Wie Rechtspopulisten Geschichte manipulieren:
vhs-Vortrag am 27.11.25 von Karl Kühbandner
Anlass für die Behandlung dieses Themas waren das Dachauer Symposion zur Zeitgeschichte 2024 und die Veröffentlichung der wissenschaftlichen Beiträge der Veranstaltung unter dem Titel "Rechter Geschichtsrevisionismus in Deutschland - Formen, Felder, Ideologie" im Göttinger Wallstein-Verlag, herausgegeben von den Kuratoren der Veranstaltung Jens-Christian Wagner und Sybille Steinbacher.
Ausgangspunkt war an diesem Abend die Definition von Rechtspopulismus durch Marcel Lewandowsky, Mitarbeiter im Institut für Zeitgeschichte. Er sieht Rechtspopulismus als "eine Politik, die ein als politisch homogen gedachtes Volk gegen eine vermeintlich korrupte politische Elite in Position bringt. […] Während das Volk den Populisten als grundsätzlich gut und anständig gilt, zeichnen sie das Establishment als korrupt, egoistisch, verkommen und abgehoben. […] Seinen ideologischen Kern bildet ein illiberales Demokratieverständnis, in welchem das Volk über vollständige Souveränität verfügt. […] An die Stelle von Checks and Balances setzt er die Einheit aller Institutionen unter den einen Volkswillen, der wiederum nur von der populistischen Partei repräsentiert werden kann."
Dass diese Definition auf typische Haltungen der "Neuen Rechten" zutrifft, zeigen Äußerungen von Alexander Gauland (wie im Titel angesprochen) und Björn Höcke:
"Ja, wir bekennen uns zu unserer Verantwortung für die 12 Jahre. Aber, liebe Freunde, Hitler und die Nazis sind nur ein Vogelschiss in unserer über 1000-jährigen Geschichte. Und die großen Gestalten der Vergangenheit von Karl dem Großen über Karl V. bis zu Bismarck sind der Maßstab, an dem wir unser Handeln ausrichten müssen. Gerade weil wir die Verantwortung für die 12 Jahre übernommen haben, haben wir jedes Recht, den Stauferkaiser Friedrich II., der in Palermo ruht, zu bewundern. Der Bamberger Reiter gehört zu uns wie die Stifterfiguren des Naumburger Doms" (Gauland 2018).
"Wir Deutschen, also unser Volk, sind das einzige Volk der Welt, das sich ein Denkmal der Schande in das Herz seiner Hauptstadt gepflanzt hat. Und bis heute sind wir nicht in der Lage, unsere eigenen Opfer zu betrauern. Anstatt die nachwachsende Generation mit den großen Wohltätern, den bekannten, weltbewegenden Philosophen, den Musikern, den genialen Entdeckern und Erfindern in Berührung zu bringen, wird die Geschichte, die deutsche Geschichte, mies und lächerlich gemacht" (Höcke 2017).
Da haben wir es beisammen: Nationalpatriotismus, Freund-Feind-Denken, die Vorstellung von einem homogenen "Volk", Verächtlichmachen des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus.
Dass diese Denkmuster schon wenige Jahre nach Kriegsende wieder im Schwange waren, zeigt ein Landtagsbeschluss von 1948: Der CSU-Politiker Hans Hagn schlägt am 16. Januar 1948 im Bayerischen Landtag vor, auf dem Gelände des ehemaligen Konzentrationslagers Dachau ein Arbeitslager als "Stätte der Umerziehung von asozialen Elementen" zu errichten. In der Debatte äußert der Abgeordnete, dass auf "Arbeitsscheue" die Androhung der Einweisung in ein Arbeitslager "Wunder" bewirke. […] Der Landtag stimmt dem Antrag einstimmig zu - auch die oppositionellen Sozialdemokraten haben keine Bedenken. Die bayerischen Gewerkschaften demonstrieren wenig später eine ähnliche Gesinnung (nach: Bundeszentrale für politische Bildung).
Was aber will die "Neue Rechte" heute? Dies sind ihre wesentlichen Argumente:
Dabei wandelt sich das Bild vom glatzköpfigen Nazischläger zum Intellektuellen, der den Gedanken der "Konservativen Revolution" der 20er und 30er Jahre des vorigen Jahrhunderts weiterspinnt.
Zentrum der "Neuen Rechten" in Deutschland wird Schnellroda in Sachsen-Anhalt mit dem Redaktionssitz der Zeitschrift "Compact" mit dem Chefredakteur Jürgen Elsässer, dem Antaios-Verlag und dem von Götz Kubitschek gegründeten Institut für Staatspolitik, das mehrfach "Sommerakademien in Schnellroda veranstaltete, allerdings von Kubitschek 2024 überraschend aufgelöst wurde.
Zu den rechten "Vordenkern" gehört außerdem der österreichische Antisemit Martin Sellner, der 2012 die "Identitäre Bewegung Österreichs" gründete und mit Vorträgen durch Deutschland tourte, so auch 2023 nach Potsdam, wo das Schlagwort von der "Remigration" aller Nicht-Deutschstämmigen verkündet wurde. Inzwischen besteht in Deutschland ein Einreiseverbot gegen ihn. Ziehvater der Rechtsextremen in Deutschland ist der Schweizer Armin Mohler (1920 - 2003), der in seiner Dissertation von 1950 die "konservative Revolution in Deutschland" beschwor.
Der Abend endete mit der Mahnung, nicht nur den Kampf gegen die vorsätzliche Umdeutung der Geschichte vor allem des Nationalsozialismus aufzunehmen, sondern auch gegen "Geschichtsvergessenheit" in Bezug auf die weltpolitischen Konflikte der Gegenwart anzugehen.
Von Karl Kühbandner, 30.11.25
Literaturverzeichnis (eine Auswahl)
Karl Jaspers, Wohin treibt die Bundesrepublik?, München (Piper) 1966
Rolf Steininger, Deutsche Geschichte 1945 -1961, Darstellung und Dokumente,
Frankfurt/M. (Fischer-TB) 1983
"Historiker-Streit". Die Dokumentation der Kontroverse um die Einzigartigkeit
der nationalsozialistischen Judenvernichtung, München (Serie Piper) 1987
Götz Aly, Volk ohne Mitte. Die Deutschen zwischen Freiheitsangst und
Kollektivismus, Frankfurt/M. (S. Fischer), 2015
Harald Jähner, Wolfszeit. Deutschland und die Deutschen 1945 - 1955, Berlin
(Rowohlt) 2019
Ders., Wunderland. Die Gründerzeit der Bundesrepublik 1955-1967, Berlin
(Rowohlt) 2025
Jens-Christian Wagner/Sybille Steinbacher (Hrsg.), Rechter
Geschichtsrevisionismus in Deutschland. Formen, Felder, Ideologie, Göttingen
(Wallstein) 2025
Marcel Lewandowsky, Die globale Rechte. Geschichte - Erfolgsbedingungen -
Auswirkungen, München (C.H.Beck) 2025
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