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Demokratie-Krisen 1923 und 2023
Die Volkshochschule veranstaltete am 16.11.23 einen mit 17 Kursteilnehmern recht gut besuchten Abend in Petershausen, der sich mit den Merkmalen der Krisen in den Jahren 1923 und 2023 beschäftigte.

Seit Florian Illies' Buch über den Sommer 1913 ist es geradezu Mode geworden, hundertjährige Jubiläen besonderer Jahre zu würdigen. So wird in allen Gazetten derzeit über das Jahr 1923 berichtet, als wäre es eben gestern gewesen, über Inflation und Ruhrgebiets-Besetzung, kommunistische Umsturzpläne und Hitlerputsch. Und auch in der wissenschaftlichen Literatur häufen sich die Veröffentlichungen zum Thema.

Vortrag
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Dabei kann man mit Erschrecken erkennen, wie fundamental gefährdet die neu entstandene Republik 1923 schon war, sowohl wirtschaftlich als auch politisch. Für viele Menschen bedeutete das nach einem vierjährigen Krieg erneut zunehmende Verarmung und Unsicherheit, übrigens eben nicht nur im Kriegsverliererland Deutschland, sondern auch gerade in Frankreich und Belgien.

Allerdings gab es auch Krisengewinnler wie den Konzernchef Hugo Stinnes und es gab, besonders in den großen Städten, die Haltung des "Jetzt ist alles egal". Und diese Gemengelage von persönlicher Notlage, dem Gefühl, individuell wie als Deutsche abgehängt und ungerecht behandelt zu sein, steigerte den Einfluss der Protagonisten einer Rückwendung zu angeblich besseren Zeiten bis zu dem Punkt, wo der Umschlag in eine Militärdiktatur unmittelbar bevorzustehen schien. Nur Hitlers dilettantischer Putschversuch verhinderte für den Moment, dass dieses Horrorszenario schon jetzt Wirklichkeit wurde.

Und eine andere Besonderheit fällt ins Auge. Es ergeben sich überraschende Parallelen der krisengebeutelten Jahre 1923 und 2023. Offensichtlich ist in beiden Fällen die Häufung von wirtschaftlichen und politischen Krisen. Dabei wird gleich ein Unterschied deutlich: Krisen des Jahres 2023 sind immer auch globale Krisen, während hundert Jahre vorher die Krisensituationen selbst europäischer Länder sich doch deutlicher unterscheiden.

Aber es gibt Gemeinsamkeiten. Die Inflation, die in beiden Fällen ein Merkmal ist, führt zwar in beiden Fällen zu sozialen Härten. Aber die Auswirkungen auf die Mentalität der Betroffenen ist bei der vollständigen Geldentwertung des Jahres 1923 eine unvergleichlich radikalere.

Wichtiger erscheint mir die Krise der damals jungen Demokratie zu sein und das Problem der Vorhersehbarkeit von Krisen. Dies wirft die oft gestellte Frage auf, ob historische Erfahrungen bei der Bewältigung gegenwärtiger Krisen hilft. Der Berliner Historiker Michael Wildt arbeitet in seinem Buch "Zerborstene Zeit. Deutsche Geschichte 1918 - 1945" den Unterschied der Wahrnehmung von historischen Abläufen bei Zeitgenossen und der späteren Bewertung heraus. Dabei zeigt sich, dass die Zeitgenossen einer Krise deren Dauer und deren Auswirkungen meist ganz anders einschätzen, als sie sich im Nachhinein darstellt. Insofern kann man die Krisen des Jahres 2023, Klimakrise, Kriege, Pandemie, Wirtschaftskrisen, Krise der Demokratie zwar in ihren Ursachen analysieren und Parallelen zu früheren Krisenerscheinungen ziehen. Prognosen bleiben aber immer vage.

Dennoch: Die Entwicklungen des Jahres 1923 zeigen schon, wie gefährdet Demokratien sein können, auch in unserer Zeit, wo einige schon glaubten, mit den Veränderungen des Jahres 1990 sei das "Ende der Geschichte" gekommen und die westlichen Demokratien hätten sich als Blaupause für eine globale Entwicklung durchgesetzt. Demgegenüber zeigen die Tendenzen zu Nationalismus, Autoritarismus und populistischen Vereinfachungen - selbst im so genannten "Westen" -, wie gefährdet eine liberale demokratische Ordnung ist. Es gilt weiterhin für Humanismus, Menschenrechte und den Schutz des Planeten zu kämpfen.

Von Karl Kühbandner, 17.11.23


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