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Bericht aus Shanghai
Wir sind immer noch im Lockdown in Shanghai, in der sechsten Woche nun. Wenigstens können wir seit dem 1. Mai wieder in der Siedlung herumspazieren, dürfen diese aber immer noch nicht verlassen, da hier am 1. Mai noch jemand positiv getestet wurde. Vorher durften wir noch nicht einmal die Wohnung verlassen. Somit ist für uns frühestens am 15. Mai eventuell ein Ende in Sicht.

Shanghai
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Eine gute Kollegin von mir hat zu Beginn des Lockdown auch noch für alle in der Firma Lieferungen von Lebensmitteln in die Wohnungen organisieren können, zu vierfachen Preisen. Wir haben auch noch Vorräte, so dass wir einige Zeit durchhalten können. Alle Geschäfte sind geschlossen und nur Händler mit Covid-Lizenz dürfen liefern. Die werden von den Behörden aber an Auswärtige vergeben, die davon mit Wucherpreisen profitieren. Überhaupt blüht der Schwarzmarkt. Lokale Händler "faken" die Lizenzen und mischen auf dem Schwarzmarkt kräftig mit. Das wiederum fördert die Verbreitung des Virus durch kontaminierte Lieferungen.

Seit Anfang 2022 gab es in Shanghai schon immer eine Handvoll Infektionen täglich. Kein Problem, denn 90 % sind geimpft und die Symptome sind mild. Mitte März wurden es dann langsam mehr, immer noch kein Problem. Die Maßnahmen der Stadtverwaltung beschränkten sich wie üblich auf Isolierung der Bewohner der betroffenen Gebäude und der Personen, die Kontakt hatten. Das ist soweit ja auch noch sinnvoll.

Ende März sind aber die Zahlen stark gestiegen. Daraufhin kam eine so genannte Gesundheits-Kommissarin aus Peking. Die hat erstmal die ganze Stadtverwaltung entmachtet, die Kontrolle über die Stadt übernommen und am 27. März dann einen je viertägigen Lockdown zunächst im Ostteil der Stadt (Pudong) und anschließend im Westteil (Puxi) beschlossen.

Beginn für Pudong war bereits am folgenden Tag. Die Menschen sind daher zu Panikkäufen in die Märkte gestürmt. Wie sich später herausgestellt hat, ist dies zum "Super-Spreading-Event" geworden, wodurch die Infektionszahlen dann explodiert sind. Doch nicht nur dadurch: Die komplette 26-Millionen-Bevölkerung wird mehrmals wöchentlich durchgestestet. Diese Tests, bei denen die Menschen Schlange stehen, haben die Verbreitung des Virus weiter beschleunigt. Das geben die Behörden natürlich nicht zu, ist aber in den Foren unbestritten.

Schlimm ist, dass die Behörden die Menschen nicht respektieren und völlig hirnlos agieren. Jeder Dummkopf konnte wissen, dass ein auf vier Tage beschränkter Lockdown nichts bringt. Trotzdem wurden die Menschen damit getäuscht. Denn die Lockdowns wurden am vierten Tag unbefristet verlängert. Noch viel schlimmer ist, dass dadurch die Versorgung zusammengebrochen ist und sowohl positiv Getestete als auch deren Kontakte in Konzentrationslager, teils gegen deren Willen, abtransportiert werden. Mein Kollege ist Augenzeuge von einem Fall, wo jemand auf den Balkon geflüchtet ist und dann von den Dabais ("die großen Weißen", wegen der Schutzanzüge so genannt) wie ein Tier eingefangen und in ein Fahrzeug getragen wurde.

In den Lagern, meistens leere Hallen, campieren tausende Menschen dicht an dicht und verbreiten Krankheiten, weil die hygienischen Bedingungen miserabel sind. Außerdem wurden Hunde, deren Besitzer positiv getestet und interniert wurden, von Dabais mit Stöcken brutal zu Tode geprügelt. Am schlimmsten ist, dass Kinder von ihren Eltern getrennt wurden. Eine Krankenschwester mit Asthma, deren Testergebnis zwei Stunden über die Gültigkeit hinaus war, wurde deswegen von ihrem eigenen Krankenhaus abgewiesen und ist dann auf dem Weg in ein anderes gestorben.

Es wird von der Regierung zwar geleugnet, aber die Folgen des Lockdown sind weitaus schlimmer als die Pandemie selber. Ich muss sagen, dass ich China jetzt mit ganz anderen Augen sehe. Bisher war die Brutalität dieses Regimes verdeckt und übertüncht von der westlich geprägten Oberfläche in Shanghai. Ich gebe zu, die Annehmlichkeiten dieser großen Stadt, wie das Ausgehen mit Freunden in Rooftop-Bars, Clubs, Sportbars, Grillrestaurants, die weitläufigen Parks, die Möglichkeit das Land zu bereisen usw. sehr genossen habe. Das alles ist jetzt so bedeutungslos, ja fast perfide für mich geworden, dass ich dem Tag des Abschieds richtig entgegenfiebere. Das hätte ich mir noch vor wenigen Wochen nicht vorstellen können. Ich werde jedem, der mich fragen sollte, davon abraten nach China zu ziehen.

Vielleicht noch etwas dazu, warum in China der 0-Covid-Irrsinn herrscht. Zunächst mal muss man anerkennen, dass China 2020 sehr effizient das Virus bekämpft hat, während Politiker in Deutschland viel zu lange gezögert und Massnahmen viel zu spät beschlossen haben. Der schlimme Verlauf der Pandemie in Europa hätte auch nicht so schlimm sein müssen. Nun das große "aber".

Denn 2022 hat sich das Blatt gewendet. Nun sieht man in Europa ein angemessenes Umgehen mit dem Virus, ermöglicht durch die hohe Impfrate. China hat aber genau das Gegenteil getan und die Massnahmen zur Virusbekämpfung stetig verschärft, obwohl die Gefährdung stetig abgenommen hat. Und das stellt China nun auf die Verliererseite, denn die Kosten für die Volkswirtschaft, auch global, und vor allem für die kleinen Familienbetriebe sind fatal, von den Menschenrechtsverletzungen ganz zu schweigen. Aber warum? Folgende Erklärungen werden gehandelt:

Tatsächlich sind nur wenige Chinesen kritisch mit dem Regime und den Massnahmen, und noch weniger haben in Shanghai demonstriert. Dies ist auch kein Wunder, denn das Volk wird permanent mit Propaganda geimpft. Ich bekomme z. B. täglich eine SMS (auf Chinesisch), die auffordert, die Massnahmen zu beachten und die die glorreichen Ziele und Erfolge vorgaukelt. Außerdem wurde den Chinesen durch fast 80 Jahre Gehirnwäsche die Allwissenheit der großen, alle beschützenden Partei verinnerlicht und sie sind von klein auf zum unbedingten Gehorsam erzogen worden, so dass die meisten kritisches Denken gar nicht kennen. Das habe ich auch im beruflichen Alltag vielfältig feststellen können.

Übrigens hatten sich meine beiden Töchter auch mit Corona angesteckt - dank drei Pfizer-/Biontech-Impfungen nur ein leichter und kurzer Verlauf.

Liebe Grüße aus der größten Geisterstadt der Welt!

Von R. F., Shanghai/China, 05.05.22


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