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Blog aus der Zukunft
Als ich den Zug aus München verlassen hatte und langsam den Bahnsteig von Gleis 1 in Richtung zum alten Bahnhof entlangging, fiel mir auf, dass die Bahn in all den Jahren nichts, aber auch gar nichts getan hatte, um für ihre Kunden Zuganzeigen in vernünftiger Sichtweite oder gar eine Uhr anzubringen. Zudem waren die Gleiskörper, auf die ich rechterhand blicken konnte, mit allen möglichen Abfällen aus erkennbar langer Zeit übersät.

BahnEs sah alles noch schäbiger aus als vor fast 20 Jahren, dem Zeitpunkt meines Weggangs aus Petershausen. Die Bahn hatte unter ihrem früheren Chef Mehdorn das Sparen am falschen Platz und die Verschwendung in unsinnige Prestige-Projekte wie S 21 angefangen und dem Unternehmen bis heute nachhaltig geschadet. Die Fahrgäste müssen unter solchen kurzsichtigen und der versuchten Privatisierung geschuldeten Fehlern immer noch leiden, dachte ich, wandte meinen Blick wieder nach vorne und überlegte, dass ich mir den Besuch vielleicht doch hätte ersparen sollen.

Mir kam eine junge Frau mit einem Schild entgegen, auf dem mein Name stand. Ich winkte und sie kam auf mich zu: "Ich heiße Lea, herzlich willkommen in Petershausen, Herr Doldi! Ich bin von der Agenda 21 und werde Sie heute durch unseren Ort führen!"

"Hallo Lea, aber sagen Sie ruhig Peter zu mir und außerdem können wir uns ja duzen, oder?" - "Gerne, eigentlich wollten ja Lydia Thiel und Christa Jürgensonn mitkommen, aber die haben momentan eine Besprechung im Landratsamt." Sie musterte mich: "Wie gut bist du denn zu Fuß? Wir haben einiges zu besichtigen!" - "Na, ja, das geht schon, trotz meinen fast 89 Jahren", meinte ich, "wenn wir langsam machen und uns zwischendurch mal hinsetzen, ist das okay?" "Aber sicher, wir haben Zeit und außerdem, bei dem tollen Wetter, das wollen wir doch auch genießen."

Der alte Bahnhof kam näher und jetzt war ich angenehm überrascht. Die grausige, grüne Fassadenfarbe, die in den sechziger Jahren irgendein ein DB-Verwaltungsbeamter mit totaler Geschmacksverirrung dem Gebäude angetan hatte, als ob er Petershausen damit bestrafen wolle, war nun der ursprünglichen, bisher unter dem hässlichen Verputz verborgenen Ziegelfassade gewichen. Ein kräftiges, nicht mehr gewohntes Ziegelrot mit weißen Steinfugen dominierte jetzt, aber es war eine ehrliche, sichtbare Zweckform und sie harmonierte gut mit dem restaurierten, alten Gebälk des Vordachs. Der über 150 Jahre alte, ehrwürdige Bau zeigte sich wieder im ursprünglichen Sinne seiner Erbauer.

WegweiserÜber dem Eingang ein nicht zu überdimensioniertes Neonschild für den im Gebäude befindlichen kleinen Hotelbetrieb "Abfahrt". Rechts daneben, wo der Zeitungskiosk war, befand sich ein winziges, schickes Bistro mit etlichen Gästen, auch Zeitungen und Tickets gab es dort zu kaufen. Ich fragte Lea, ob sich das Hotel denn für seine Betreiber rentiere und sie meinte: "In Petershausen ist es das einzige, und der Gasthof in Kollbach ist ja ein ganzes Stück entfernt. Zudem hat die 'Abfahrt' ein sehr gutes Restaurant, das sich auf regionale Küche mit mediterranen bis orientalischen Anklängen spezialisiert hat und auch in der weiteren Umgebung und bis nach München als kulinarischer Geheimtipp gilt. Vorbestellung ist hier fast Voraussetzung, um einen Platz zu bekommen. Ich habe gehört, dass sogar kleine Gruppen aus München anreisen, sich ein tolles Menü servieren lassen und nach einem langen geselligen Abend mit exzellenter Weinauswahl dann hier auch noch übernachten."

Meine Begleiterin schlug den direkten Weg zur Obermarbacher Straße ein, aber ich bat sie, dass ich gerne den Weg so gehen möchte, wie ich in all den Jahren, in denen ich in München beschäftigt war, am Abend immer den Nachhauseweg vom Bahnhof über die Lagerhausstraße und den Hubertusweg wählte. Sie nickte: "Ja, man hat mir erzählt, dass du im Hubertusweg 5 gewohnt hast, ich verstehe das. Du hast dich ja immer dafür eingesetzt, dass der Charakter des Gartens mit den alten Apfelbäumen, der von dir gestalteten Gartenanlage und deinem Terra-Preta-Experiment im Gemüsegarten erhalten bleiben soll. Sei jetzt nicht enttäuscht, wenn sich da doch einiges geändert hat. Ach übrigens, weil wir hier gerade vorbeigehen, die Firma Braumiller gibt es noch immer, aber sie hat sich etwas verändert. Der Agrarsektor hat sich im konventionellen Bereich auch in unserer Region so zur Großindustrie so gewandelt, dass es in der gesamten Gemeinde Petershausen nur noch drei riesige Betriebe gibt, die mit gewaltigen Maschinen alle Felder ringsum bewirtschaften. Leider wurden dabei etliche Hecken dem Wandel geopfert und da konnten auch unsere Proteste nichts dagegen ausrichten und alle anderen landwirtschaftlichen Betriebe haben dann wegen zu geringer Rentabilität rasch aufgegeben. Braumiller hat somit seine Handelspartner verloren, jedoch eine Chance genutzt und sich zu einem kleinen, aber gut sortierten Gartenfachmarkt gewandelt, der auch die Produkte der Biobauern und -gärtner im großen Umkreis vermarktet. Unter anderem bietet er auch für die hauptsächlich jungen und wieder vermehrt gärtnernden Bürger Seminare über moderne alternative Anbaumethoden sowie die psychologische und gesundheitliche Bedeutung von Gartentherapien an."

Ich blickte durch den offenen Eingang in den Verkaufsraum und sah etliche Kunden im Gespräch untereinander und mit dem Verkaufspersonal. Ich hätte mich gerne näher dort umgesehen, aber Lea meinte, wir könnten den Ladenbesuch auch auf dem Rückweg am Nachmittag machen. Beim Weitergehen sah ich linkerhand, wo sich zu meiner Zeit noch ein Brachgelände befand, ein lang gestrecktes Gebäude mit zahlreichen Wohnungen. "Hat sich die Einwohnerzahl Petershausens stark erhöht?", fragte ich Lea.

Flughafen"Und wie! Weil die dritte Startbahn am Flughafen Erding gegen den Willen der Bürger dann doch gebaut wurde und etwa 15.000 neue Arbeitsplätze damit entstanden, hat sich die eh schon knappe Wohnraum-Situation natürlich auch auf die Bautätigkeit hier ausgewirkt. Insgesamt leben in der Gemeinde Petershausen jetzt 8267 Menschen. Die meisten Wohnungen entstanden westlich der Bahn und wegen der größeren Nähe zum Flughafen gleich eine ganze Siedlung im Ortsteil Weißling. Leider sind im Gefolge auch die Mieten und Immobilienpreise sehr stark gestiegen, was für Geringverdienende zum Problem wurde und sie zum Wegzug ins Hinterland zwang."

Als wir in den Hubertusweg einbogen, hörte ich schon die Rufe der Kinder von der Aktiven Schule, die gerade im Freien waren. Der Garten hatte sich sehr verändert, denn die Apfelbäume, die einmal kurz vor 1900 gepflanzt wurden, hatten ihr natürliches Lebensende gefunden und an deren Plätzen wuchsen ein paar junge Obstbäume erst heran. Doch dafür fiel jetzt mehr Sonnenlicht in das Grundstück, was auch nicht schlecht war. Während ich etwas wehmütig über den Gartenzaun dorthin blickte, wo ich rund 30 Jahre gelebt und gewirkt hatte, rief eine Stimme überrascht: "Ja, Peter?" Das war doch Marian, mit grauen lockigen Haaren, der raschen Schrittes auf uns zu kam.

"Mensch Peter, das ist ja toll, dass du uns mal besuchst. Kommt doch rein, ihr stört gar nicht." Das alte Metalltor war durch ein wunderschönes, handbearbeitetes künstlerisches Holztor ersetzt worden und stach mir sofort ins Auge. Marian nickte, als ich ihn fragend anblickte, und ich meinte nur: "Ja, das ist genau dein Stil, du lässt in erster Linie das Holz bestimmen, welche Form die Stücke am Ende haben. Sehr schön und charakteristisch!"

Marian begann zu erklären: "Du siehst ja, dass hier ein neues, etwas längeres Gebäude steht, die Restaurierung des alten wäre zu teuer geworden. Dafür haben wir jetzt sehr lichte Räume für den Unterricht der Oberstufenklassen, denn die Schule ist mächtig gewachsen, und wir haben jedes Jahr mehr Anmeldungen als verfügbare Plätze."

Wir umrundeten das Gebäude und ich sah meinen alten kreisrunden Grillplatz aus Porphyrplatten und eingearbeiteten Ziegeln, der jetzt von zahlreichen in den Boden eingelassenen Stammstücken umsäumt war. "Das ist nach wie vor unser bevorzugter Platz, um Dinge zu klären, Wichtiges zu besprechen oder einfach nur mal am Feuer zu sitzen und zu quatschen. Die von dir angelegte Grünspargelwiese im Nordteil existiert übrigens auch noch, du kannst sehen, wie er jetzt nach der Ernte in die Höhe schießt. Dort steht auch noch der inzwischen mächtige Walnussbaum und die Fläche mit dem Bärlauch ist geradezu riesig geworden, siehst du? Darüber freut sich die Schulküche, denn dein Rezept mit dem Bärlauch-Walnuss-Pesto wird immer noch geschätzt. Und dort oben ist auch noch dein alter Gemüsegarten mit der Terra Preta, den jetzt die Schüler bearbeiten und der die Schulküche beliefert. Den Lavendelgarten mussten wir wegen des Neubaus allerdings ein ganzes Stück verlegen, aber er sieht jetzt mit den durch ihn hindurch laufenden Wegen und ihn ergänzenden Kräutern auch nicht schlecht aus, oder?"

Unter mehreren neu errichteten Holz-Pavillons saßen Schülergruppen mit den sie unterrichtenden Lehrkräften. Das Ganze machte einen zwar lockeren, aber sich auf das Wesentliche konzentrierenden Eindruck. Marian nickte: "Ja, wir haben oft die Presse und auch einige Besucher aus dem Ausland hier, denn unser Schulmodell wollen jetzt viele kopieren."

Wir verabschiedeten uns von Marian und gingen zur Jetzendorfer Straße hinunter, auf der meines Erachtens spürbar weniger Verkehr war als vor zwanzig Jahren. Ich sprach Lea darauf an und sie stimmte mir zu: Ja, der Individualverkehr hätte immer mehr nachgelassen, als die Energiepreise vor etwa 15 Jahren wieder so stark anstiegen. Außerdem fährt ein Shuttlebus permanent alle Ortsteile von Petershausen an, viele Leute haben auch ein Dauerticket dafür. Wer es sich leisten kann, hat ein E-Mobil, und die wenigen Diesel und Benziner fallen heutzutage bei uns hier richtig unangenehm auf.

CafeWir erreichten den Pertrichplatz und ich sah, dass der "Kreisel" zwar funktionierte, aber der Platz genauso eng war wie dazumal schon vorne an der Bahnhofstraße, doch man nahm gebührend Rücksicht aufeinander, und so schien der Verkehr reibungslos zu funktionieren. Die damals hier geplanten Häuser mit Geschäften umrundeten jetzt den Platz und verliehen ihm an dieser Stelle einen geschlossenen, ja fast städtischen Charakter. Die Bäckerei Kloiber wirkte fast noch genauso wie früher, es duftete immer noch so gut nach frischem Gebäck. Lea erzählte mir, dass deren Filiale im Gewerbegebiet an den Eheäckern auch sehr gut frequentiert sei und der Hauptteil der Backwaren dort im neuen Betrieb entstehe. Nur das Feingebäck und die Konditoreiwaren würden jetzt noch hier im Stammhaus produziert.

Das Café schien selbst um diese Uhrzeit gut besucht zu sein. Ich blickte um mich und betrachtete die lebendige Bepflanzung der ehemals langweiligen und phantasielosen Grünfläche neben den Tischen des Cafés. Da mischten sich nun Blumen mit verschiedenen duftenden Kräutern. Drei lebensgroße, witzige Holzskulpturen gaben dem ganzen Ensemble einen spielerischen Ausdruck und ließen das Auge gerne zurückschweifen.

Wir standen jetzt vor dem Eingang zum Anwesen Schneider mit dem immer noch existierenden Taubenschlag, und ich blickte auf die andere Platzseite mit den neuen Geschäften. Eine Mode-Boutique sah ich, ein Uhren- und Schmuckgeschäft, und eine Ladenbeschriftung interessierte mich besonders: "Tofu-Inspiration". - "Ein Tofu-Laden in Petershausen", fragte ich erstaunt meine Begleiterin, "wie das?" "Ja", meinte sie, die hatten es zwar am Anfang nicht leicht, doch veränderte Ernährungs-Gewohnheiten auf Grund eines gestiegenen Gesundheits-Bewusstseins setzen sich auch in Petershausen langsam durch, und jetzt ist der Laden nicht mehr wegzudenken". "Toll", konnte ich als sehr früher Tofu-Fan dazu nur sagen.

Wir wandten uns nach links und gingen die Bahnhofstraße ortsauswärts. Ich blickte zum Pertrichhof hinüber und empfand ihn wie einen Fels in der Brandung der Zeiten. Schlicht und einfach ein wunderschöner Renaissance-Bau. "Ach, die Gemeindebücherei existiert immer noch, wo mal der Triffterer mit seinen Uhren war", rief ich aus und Lea setzte hinzu: "Ja, aber die hat jetzt mehrere Funktionen. Abgesehen von einem Kaffeeautomaten gibt es da drinnen auch noch Leseecken und zweimal in der Woche veranstalten sie am Abend 'Shared Reading', was eine therapeutische Wirkung hat; eine Psychologin betreut das Projekt. Du hast schon davon gehört?" Lea blickte mich zweifelnd an, weil ich lächelte. "Doch ja, ich kenne die Methode und habe mich auch schon in den Anfängen ein bisschen damit beschäftigt, doch ich finde die Auseinandersetzung mit Literatur grundsätzlich immer gut."

Bahnhofstr."Ach, auch der Eisladen existiert noch", rief ich grinsend aus. "Aber ja und wie, und der hat sich auch der Zeit angepasst. Der momentane Hit ist Gorgonzola-Birnen-Eis. Komm, wir gehen mal rein, der Laden ist echt gut." Vor der Eisdiele waren umrahmt von Grünpflanzen immer noch Sitzgruppen und kleine Tischchen aufgestellt. Aber dann innen, wow, das sah echt schick aus. Abgesehen von der sehr stylischen Einrichtung mit italienischem Design und einer raffinierten Beleuchtung präsentierten sich die angebotenen Eiscremes hübsch in unterschiedliche, raffinierte Formen gespachtelt mit essbaren Blumen, Früchten, Süßgräsern und anderen ungewohnten Dekorationen. Ich las die angebotenen Sorten durch und entdeckte außer den Klassikern viele neue, sehr interessante wie z.B. Grüntee-Ingwer, Thymian-Orange, Bärlauch-Pimenton de la vera und tatsächlich ein Schinken-Meerrettich-Eis, das sich "Sepp" nannte.

Die zwei sympathischen jungen Schwarzen sprachen perfekt Deutsch mit bayrischem Akzent und antworteten auf meine Frage nach dem Woher, dass sie vor zwanzig Jahren mit ihren Eltern als Kleinkinder aus Eritrea hierher gekommen seien. "Ist das alles hier im Hause produziert?" "Aber selbstverständlich, das Eis ist unsere absolute Eigenkreation und es gehört zu unseren Grundsätzen alles selber und weitgehend mit biologischen Zutaten aus der Region, außerdem mit stark reduzierter und natürlicher Süße herzustellen. Die detaillierte Zutatenliste liegt hier aus, wenn es Sie interessiert." Die beiden verabschiedeten uns mit einem freundlichen "Auf Wiedersehen und guten Genuss".

Als wir weitergingen, nahm ich erst einmal bewusst war, dass die hässlichen und buckligen Gehsteige mit dem zerbröselnden Asphalt einem schicken und griffigen Trottoir-Belag aus leicht gerundeten Granitsteinen gewichen waren. Ich erwähnte das gegenüber Lea im Weitergehen und sie meinte nur: "Weißt du, ich bin schon so daran gewöhnt, dass ich vergaß, dich darauf hinzuweisen, sorry."

BuchhandlungMit Freude nahm ich wahr, dass es einen mir immer wichtigen Laden, "Lesen und Schreiben" noch gab. Der hatte zwar jetzt neue Besitzer hätte, wie Lea bemerkte, doch die seien auch OK. "Ach, der Fairkaufladen existiert auch noch", rief ich verwundert. "Den führen jetzt ehemalige Asylbewerber ehrenamtlich", setzte Lea hinzu, "der ist dadurch noch authentischer". Der Naturkostladen Vielfalter war auch noch vorhanden, allerdings ebenfalls schon lange mit neuen Besitzern, wie ich erfuhr.

Mein Blick wurde von dort angezogen, wo vor Jahrzehnten mal ein Schuhladen war. Das Haus leuchtete jetzt gelb-ockerfarben und hatte über dem geöffneten Eingang ein Schild mit der fetzigen Aufschrift "Pasta, Basta!" "Gibts den schon länger?" fragte ich Lea. "Seit etwa vier Jahren, das ist ein junger Verwandter vom Pizzabäcker in Kollbach und macht erstklassige Teigwaren, hat auch eine große Auswahl frischer Antipasti und spezielle selbstproduzierte italienische Backwaren, wie beispielsweise Mandorle oder Fiorentini. Ein ganz tolles Geschäft, das immer mehr Menschen zu schätzen wissen, die wieder selber kochen und dabei Produkte in erstklassiger Qualität verwenden möchten. Man kann dort auch sehr gut kleine Nudelgerichte essen."

"Kannst du dich noch an die Pilsbar 'Easy' erinnern, Peter?" "Klar, ich war zwar nie drin, aber dachte mir immer im Vorbeigehen, das wäre auch ein guter Platz für eine Kulturkneipe mit Kleinkunst, guter Musik und zum Ideenaustausch." "Der Umbau in Eigenregie durch eine Gruppe junger Künstler findet endlich statt und, wenn es zeitlich gut läuft, ist die Eröffnung im September. Leider ist aber in dieser Straße sonst weiter nichts Wesentliches passiert, was den Ort erwähnenswert machen würde."

"Tja", meinte ich, "dann sind wir mit unserer Besichtigung am Ende angelangt, oder?" "Nein, noch nicht ganz, ich habe noch eine Überraschung für dich, und da wirst du echt staunen, denn das hättest du Petershausen niemals zugetraut!" Ich wollte gerade fragen, um was es sich handele, als mir Lea zuvorkam und bestimmt sagte: "Nein, nein, das musst du direkt sehen!" Wir gingen zur Münchener Straße und Lea sah auf die Uhr: "In acht Minuten müsste der Bus in Richtung Kollbach und Weißling kommen, den nehmen wir."

Ich rätselte und sah mir den Platz an, wo früher der Edeka-Supermarkt stand. Das sich gut einfügende, dreistöckige Gebäude mit den großen Fenstern und den farbigen Außenrollos beherbergte schon seit mehr als zehn Jahren die Gemeindeverwaltung, bekam ich erklärt. Wir gingen noch ein Stück Richtung Glonn und dann konnte ich den früheren Verwaltungsbau sehen, wie ich ihn kannte. Lea erklärte: "Das ist vor fünfzehn Jahren wieder zur Schule geworden, weil es nebenan viel zu eng wurde, und der große Platz kann jetzt endlich wieder von den Kindern genutzt werden. Eine kluge Lösung, die noch unter Bürgermeister Fath realisiert wurde, und das war gerade ihm ein wichtiges Anliegen.

Kirche"Der Bus kommt", rief Lea. Wir stiegen ein und ein junger farbiger Mann stand auf und bot mir höflich gleich den Platz neben der Türe an. Lea zog das Ticket für mich und stellte sich neben mich. "Übrigens hat ein vermögender Petershausener Bürger, der nicht genannt werden will, eine zweckgebundene Bausumme für den Neubau der Brücke über den Mühlbach unterhalb der Kirche an die Gemeinde überwiesen, und jetzt müssen sie nach mehr als drei Jahrzehnten den Übergang eben in Angriff nehmen. Das passt natürlich wieder mal nicht allen." Ich sagte nur, "die ewig wegen Einsturzgefahr gesperrte Brücke war auch so ein Armutszeugnis für die Gemeinde, denn viele, gerade ältere Petershausener Bürger gingen gerne den Weg zum Wehr um sich auf den Bänken auszuruhen und dem Rauschen des Wassers am Wehr zuzuhören. Es war ein Verlust von Lebensqualität."

Wir fuhren über die Glonnbrücke, und nach etwa hundert Metern bremste der Bus. Die Haltestelle hieß "Medizinisches Pflegeheim Petershausen". Wir gingen an der kleinen, alten Scheune, die immer noch dem Bund Naturschutz gehörte, vorbei und auf das Pflegezentrum zu, aber dann bekam die Straße eine Abzweigung und die führte linkerhand weiter. Zwei ältere Damen überholten uns mit dem Fahrrad, auf den Gepäckträgern hatten sie Taschen stehen. Was wollten die beiden wohl auf den Feldern? Wir gingen am Zaun des Pflegezentrums entlang, hinter dem Senioren im Schatten von Bäumen saßen, plauderten oder in Brettspiele vertieft waren. Ich bemerkte seitlich blickend das schelmische Schmunzeln meiner jugendlichen Begleitung und blickte suchend wieder geradeaus.

Jetzt erkannte ich Gruppen von Büschen und Bäumen, ein rotes Dach zwischen Baumkronen und sah endlich ein Schild mit blauen Wellenlinien über einem Eingang und mir dämmerte es. "Das gibt's doch nicht, Petershausen hat endlich ein Schwimmbad, ich werde verrückt!" "Na, dann sieh es dir erst mal an, Lydia hat mir erzählt, dass du im Rahmen der Agenda 21 vor 20 Jahren auch schon diese Idee hattest, oder etwa nicht?" "Ja ein Schwimmbad möchten wohl die meisten Bürger, das ist nichts Ungewöhnliches, aber viele werden wohl über meine Idee gedacht haben, der spinnt ja mal wieder." Lea wechselte am Eingang mit dem älteren Herrn an der Kasse ein paar Worte und der nickte nach einer Weile zustimmend.

SchwimmbadSie bat mich hereinzukommen, wir betraten das Gelände und ich sah einen großen, wunderschönen, natürlichen Schwimmteich in harmonisch geschwungener Form, mit einem großen wasserreinigenden Pflanzenbecken seitlich, in dem es nur so grünte und blühte. Es wirkte fast wie ein kleiner See und ich rief: "Das sind ja mehr als 50 Meter Länge!" - "76!" sagte der Mann vom Kassenhäuschen stolz, der jetzt zu uns getreten war, "und 38 Meter breit. Das haben alles die Ehrenamtlichen gebaut, aber das war vielleicht eine Arbeit, das können Sie mir glauben. Bei der Schutzfolie, mit der wir die ausgehobene Form vor dem Regen schützten, ging ja noch alles gut, die Dämmmatte ließ sich auch noch zügig verlegen, aber die schwere Teichmatte hatte es in sich. Runde 4000 qm schwere Folie in einem Stück wollen erst mal an der richtigen Stelle platziert, ausgerichtet, dann seitlich auf 48 Meter aufgeschlagen und endlich auf etwa 85 Meter Länge ausgerollt sein. An dem Tag waren wir fast vierzig Leute, die angepackt haben. Dann kam noch die ganze Teichtechnik rein und dann haben wir drei, vier Tage lang mit dem Spezialmörtel noch eine daumendicke, sandfarbene Schicht aufgetragen. Sieht doch aus wie an der Copa Cabana, oder? Das Bepflanzen war dann ja nur noch eine leichte Tätigkeit. Na und das ist jetzt unser vollbiologischer Schwimmteich. Als wir noch am Aushub waren, haben viele gelästert, aber jetzt kommen die Leute von weit her zum Baden und Angucken." Ich bestaunte auch die Bepflanzung in den wellig angelegten Liegewiesen und sagte den beiden, dass ich restlos begeistert sei.

Bei der Rückfahrt gestand ich Lea, dass ich tatsächlich nie geglaubt hätte, dass Petershausen mal ein Schwimmbad haben würde, weil zu meiner Zeit alle Vorschläge so schleppend, wenn nicht gar von vorne herein ablehnend behandelt wurden. "Schade, dass ich schon so alt bin, hier würde es mir tatsächlich wieder Spaß machen zu leben." Lea sah mich ernst an und sagte mit etwas Bedauern in der Stimme: "Peter, vielleicht hast du einfach bloß zu früh gelebt."

Wir fuhren zurück und stiegen am Gemeindezentrum aus. "Hast du Hunger?" fragte mich Lea und ich meinte: "Keinen großen, aber ich würde mal gerne in die Tofurei reinschauen." "Ja, klar, dort gibt es auch kleine, leckere Snacks, komm!" Lea stellte mich in der Tofurei der Frau vor, die gerade Tofu-Scheiben schnitt und zum Braten oder Grillen vorbereitete. "Ich bin die Freya", sagte sie lächelnd und ich hatte das Gefühl, sie wiederzuerkennen. Vorsichtig sagte ich: "Ich habe mich ein paar Mal im Hubertusweg mit einer Freya über den Gartenzaun hinweg unterhalten." Sie stutzte: "Bist du der mit den Kürbissen im Apfelbaum? Ja, dann haben wir öfter miteinander gesprochen, meine Mama hat in der Aktiven Schule gekocht und manchmal kam ich dort vorbei." "Wir haben auch mal über Tofu gesprochen, weil ich den vor fast sechzig Jahren auch oft selber gemacht habe." "Das ist ja geil, aber in so vielen Varianten hast du ihn sicher nicht produziert?" Es stimmte, was ich sah, erstaunte mich echt, Tofu gegrillt, gebraten, gedämpft und in kraftvoll farbigen Soßen, mit unterschiedlichen Panaden und variantenreichen Formen sowie noch mit zahlreichen Kräutern und Gemüsen kombiniert, dazu außerdem Tempeh und Seidentofu.

Ich wunderte mich: "Sag mal, das kaufen und essen die Petershausener wirklich?" Sie nickte: "Und wie, das läuft richtig gut." "War das deine Geschäftsidee?" "Nicht ganz, denn Hans Becher, der seinen Naturkostladen 'Vielfalter' verkauft hatte, suchte nach einem neuen Projekt, in dem er sich einbringen konnte ohne den Stress von früher zu haben. Bei einem Einkauf habe ich ihn einer anderen Kundin davon erzählen hören und ihn später darauf angesprochen. Dann haben wir uns zusammengesetzt und Nägel mit Köpfen gemacht. Vor allem hat er das Startkapital und seine Erfahrungen investiert, aber die meisten Ideen hier drin sind von mir und noch drei anderen Leuten, wir ergänzen uns gut."

Wir wählten unser Essen und nahmen an einem der drei kleinen Tischen Platz. Ich probierte, es war köstlich und von sehr guter Konsistenz. Ich sah und fühlte, dass tatsächlich einiges in diesem Ort, der zu meiner Zeit nicht in die Schuhe zu kommen schien, passiert war. Ich meinte zu Lea, dass ich wirklich sehr angenehm von Petershausen überrascht sei. Etwas spöttisch erwiderte sie: "Das klang aber früher ganz anders bei dir!" Überrascht blickte ich sie an: "Was meinst du?"

Wege"Naja", sie zog etliche leicht vergilbte Papierseiten aus ihrer Umhängetasche und antwortete: "Das hat mir Christa Jürgensonn extra für diesen Moment unseres Treffens mitgegeben, weil du damals für das Planungsprojekt "Zentrumsmagnet Petershausen" eine derart pessimistische Zukunftsprognose für unseren Ort zu diesem Jahr 2035 verfasst hast, dass auch etliche andere, durchaus optimistische Mitwirkende kurzzeitig den Mut verloren hatten. Ich darf dich mal zitieren: Und zusätzlich treibt ein kalter, unfreundlicher Wind Papier-, Plastikfetzen und aufgewirbelten Staub durch eine menschenleere, öde Bahnhofstrasse, deren Fahrbahn sich auflöst und mit Schlaglöchern nur so übersät ist. Oder zum Beispiel hier: Die Discounter am Ortsrand haben sich wie ein das innerörtliche Geschäftsleben strangulierendes Band um Petershausen gelegt und saugen vampirhaft die Kaufkraft der Bürger in die Kassen von multinationalen Großkonzernen, die den unbelebten Ortskern wie eine leere, trostlose Wurstpelle zurücklassen!"

Ich erinnerte mich plötzlich nur zu gut und sagte etwas beschämt, aber ironisch schmunzelnd zu Lea: "Da stehen noch ein paar schlimmere Prognosen drin!"

Sie meinte lachend: "Du hast ja ein Gemüt, aber bitte, wenn du dazu stehst, hier noch ein paar deiner destruktiven Fiktionen: ... Haben sich die beiden Bäckereien, die einmal sehr anerkannte Handwerksbetriebe waren, dem Billigdiktat des Großteils einer immer unkritischer werdenden Käuferschicht gebeugt und fungieren mittlerweile nur noch als Verkaufsstellen für völlig uncharakteristische, seelenlose Massenbackwaren aus China und Indien. Oder auch so etwas: Der Ort erwacht nur noch an den Wochenenden zu einem kurzen Leben, wenn Radfahrer-Gruppen den Ort rasch passieren oder Kolonnen von röhrenden Motorrädern an grauen Fassaden und den wenigen noch existenten, aber völlig uninspirierten, langweiligen Schaufenstern vorbeiziehend, nur lärmende, die Ohren schmerzende Pseudo-Aktivität erzeugen. Oder warte mal, noch schlimmer hier: ... wird man nachts beim Verlassen des Bahnhofsgeländes auf schockierende Weise an die Drogenszene in Berlin oder Frankfurt erinnert, wenn in der mit Abfall und Spritzen verdreckten kleinen Grünanlage neben dem Seniorenheim Geld und Rauschgifte unbehelligt durch Ordnungskräfte die Besitzer wechseln ... und so weiter und so fort. Peter, ich will dich nicht nachträglich kritisieren, aber du siehst nun wohl ein, dass sich auch etwas zum Positiven entwickeln kann, wenn Menschen sich wirklich engagieren."

Ich hatte ohne Zweifel dem Ort und seinen Bewohnern, die nach meinem Wegzug dieses Wunder vollbrachten, Abbitte zu leisten, und stimmte ihr zu: "Keine Frage, das erlebe ich ja gerade, doch bedenke bitte, dass sich aus meiner damaligen Perspektive für mich dieses Zukunftsszenario ergab. Aber, dass ihr das zusammen mit engagierten Geschäftsleuten und motivierten Bürgern das geschaffen habt, was ich heute ehrlich bewundere, ist schon eine grandiose Leistung. Und wenn ich dir jetzt gestehe, dass ich niemals geglaubt hätte, was ich nun mit eigenen Augen sehe, dann kannst du das als riesiges Kompliment für euer Tun in Petershausen werten!"

Als wir nach unserer kleinen Stärkung wieder auf die Straße traten, roch es unverkennbar nach frisch gerösteten Kaffeebohnen. "Mmmmh, bei Kloiber wird wieder Kaffee geröstet", meinte Lea. "So richtig", fragte ich? "Ja, richtig, die haben dafür auch ein eigenes Label und man kann die verschiedenen Sorten dort gleich verkosten." In Petershausen hatte sich so einiges verändert, das musste ich gestehen. "Ich möchte einen Espresso," setzte ich hinzu. Kein Problem! Als ich vor der Kaffeeröstmaschine stand, in der die bewegten Bohnen langsam eine dunkle Färbung annahmen, und mit einem freundlichen Lächeln meine Tasse gereicht bekam, spürte ich, mit wie viel Leidenschaft und Hingabe die hier wirkenden Menschen dem Ort Vitalität einhauchten.

Es waren nicht große, spektakuläre Bauten, die den Wandel verkörperten, sondern vielmehr die zahlreichen, kleinen Maßnahmen und Aktivitäten, die ein Gewebe bestehend aus guten Ideen, originellen ökonomischen Aktivitäten und idealistischem Handeln entstehen ließ, das in mir ein wohliges Gefühl von Angekommen sein auslöste. Schmerzlich wurde mir bewusst, dass ein großer Teil meiner Gefühle und Sehnsüchte immer noch in Petershausen wurzelte.

LandschaftAls sich eine Stunde später Lea am wie üblich mit zehn Minuten Verspätung einfahrenden Regionalzug nach München von mir verabschiedete, ich einstieg und ihr noch zuwinkte, wurde mir sehr schmerzlich bewusst, dass diese Begegnung mit Petershausen vermutlich die letzte in meinem Leben war. Während der Zug Fahrt aufnahm, stiegen Wellen von Erinnerungen an früher und Gedanken an viele versäumte Möglichkeiten meines Mitwirkens an diesem hinter mir verschwindenden und plötzlich sehr liebenswerten Ort in mir auf. Ich sah noch kurze Zeit das weich schwingende Glonntal und den kleiner werdenden Kirchturm, bevor mir die ansteigenden Hügel bei Asbach das letzte Bild meiner jahrzehntelangen, vertrauten Heimat verstellten.

Von Piero Doldi, 23.05.16


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